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Illustrationen von
Dorothee Schmidt
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2
Schnell
hatten sie alle Anzeichen der Zivilisation hinter
sich gelassen, und Larry gab Sad ed Faûl die
Zügel frei. In einem ausgetrockneten Flussbett,
das sich durch die Landschaft wand, preschten sie
wie auf einer Rennstrecke dahin. Drei, vier
Kilometer legten sie im Galopp zurück, dann
verlangsamte Larry den Lauf des Pferdes zu einem
zügigen Trab, der höhere Anforderungen an den
Reiter stellte. Obgleich nach Auskunft des Jungen
in der Nähe ein Fluss war, der Wasser führte,
war das Land sehr karg. In der Ferne sah Larry
einige Büffel durch das vertrocknete Präriegras
ziehen, letzte Überbleibsel riesiger Herden von
Bisons, die noch vor wenigen Jahren diesen
Landstrich durchwandert hatten.
Schaumige Flocken flogen aus dem Maul des
Pferdes. Larry zügelte den Hengst. Durch einen
Rundblick überzeugte er sich, dass es außer den
Bisons keine Zeugen gab; dann stieg er vom Pferd,
zog die Stiefel aus und indianische Mokassins an,
schlang die Zügel um das kunstvoll gearbeitete
Sattelhorn - und lief los. Sad ed Faûl schien
das Spiel zu kennen und schmetterte wiehernd sein
Wohlbefinden heraus. Nach fünf Minuten war Larry
schon durchgeschwitzt, aber die körperliche
Anstrengung tat ihm gut, und als er den
Laufrhythmus gefunden hatte, bewegte er sich mit
einer Leichtigkeit und Geschmeidigkeit, als
könne er endlos lange so weiterlaufen._Hinter sich_hörte er den
Hufschlag_des
Pferdes;
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der
Hengst würde erst in schnellen Galopp fallen,
wenn Larry das Zeichen gab. Dann galt es, eine
Meile im schnellstmöglichen Lauf zurückzulegen.
Larry schaute sich um und sah Sad ed Faûl
ungefähr hundertfünfzig Meter hinter sich, und
das Tier schien den Abstand noch vergrößern zu
wollen. Bis jetzt hatte Larry allerdings noch nie
ein Rennen gewonnen.
Larry mochte etwa zwölf Kilometer gelaufen sein,
als er das Zeichen zum Endspurt gab. Weit
abgeschlagen hatte der Hengst als Gangart nun den
Schritt gewählt. Kaum war der Schrei verhallt,
kam donnernder Hufschlag, regelmäßig wie ein
Trommelwirbel immer näher und näher, und sehr
bald rannten sie nebeneinander her. Als wolle er
Larry veralbern, passte er sich dessen
Geschwindigkeit an. Larry wurde schneller, er
mobilisierte alle Sprinterkräfte, aber der
Hengst flog, als sei er des Spiels nun müde,
mühelos an Larry vorbei und trompetete
triumphierend. Er entfernte sich schnell und
ließ Larry im Staub zurück. Mit einem Pfiff gab
Larry das Ende des Rennens und den Sieger
bekannt.
Er zog seine Kleidung aus, um sie von der Sonne,
die jetzt mit morgendlicher Kraft die Luft auf
fünfundzwanzig Grad erwärmte, trocknen zu
lassen. Mit bleichem, narbenübersätem
Oberkörper saß er auf einem von der
Schneeschmelze mitgerissenen Felsblock am Rand
des Flussbettes. Einige Wunden waren kaum
verheilt, die Schulterwunde schmerzte noch und
nässte; Larry nahm das alte Heftpflaster ab und
klebte ein neues darauf. Zu seinem Normalgewicht
fehlten ihm noch zwanzig Pfund. Jetzt stachen die
Rippen einzeln unter der
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weißen
Haut hervor. Die letzten zwei Wochen hatte er von
seiner Substanz gezehrt. Aus der Wasserflasche
trank er in gierigen Zügen. Er packte den
Proviant aus und aß langsam und bedächtig den
kalten Braten und das Brot. Trotz seines Hungers
zwang er sich dazu, jeden Bissen gründlich zu
kauen.
Am Horizont schimmerte eine imposante Bergkette
in grau und blauen Farben, nur vereinzelt wiesen
dunkle Stellen auf Vegetation hin. Der ständig
wehende Wind trug die Erdkrume davon und ließ
nur kahlen Fels zurück. Irgendwo weit dahinter
lag Larrys Ziel.
Mit dem Schwanzgefieder wippend kam ein
Erdkuckuck nach Nahrung Ausschau haltend auf den
reglos Sitzenden zu. Er suchte seine
Lieblingsbeute, Eidechsen, die zu dieser Zeit
noch in der prallen Sonne lagen, um die
Nachtkühle zu vertreiben. Aber der Kuckuck
verschmähte auch die Käfer nicht, die zu
Dutzenden auf einem Octillo versammelt waren,
einer in New Mexiko weit verbreiteten Kakteenart.
Unterdessen hatte die Sonne die Kleidungsstücke
getrocknet, und Larry zog sich wieder an. Sad ed
Faûl war noch nicht zurück. Vielleicht hatte er
eine Wasserstelle gefunden. Ein Greifvogel zog,
hoch am Himmel schwebend, seine Kreise, dann
verblieb er, mit den Schwingen rüttelnd an einem
Punkt des Himmels, bis er plötzlich, ein
Geschoss, pfeilgeschwind nach unten flog.
Zorniges Wiehern und wildes Fluchen unterbrachen
die natürliche Stille. Alarmiert wollte Larry in
Deckung gehen, als auch schon Sad ed Faûl, von
zwei Reitern mit Lariats gehalten,
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hinter
der Flusskrümmung auftauchte. Der Hengst wehrte
sich mit aller Kraft, aber die Cowboys verstanden
ihr Handwerk, und die straff gespannten
Rohlederriemen schnürten ihm die Luft ab, so
dass seine Abwehr sichtlich schwächer wurde.
Larry verfluchte seine Sorglosigkeit, denn seine
Waffe, die Winchester, steckte im Scabbard, Colt
und Patronengürtel hatte er im Hotel gelassen.
Das Flussbett lag zwei bis drei Meter tiefer als
die Ebene, die Larry gerade überblickt hatte,
deshalb hatten sich die Reiter unbemerkt nähern
können. Hinter den Cowboys tauchten drei weitere
Reiter auf.
Die zwei, die Sad ed Faûl in die Zange genommen
hatten, waren einfache Kuhhirten, für die Arbeit
mit dem Vieh angestellt. Sie hatten Chaparreras
um die Oberschenkel gebunden, um gegen das
Dornengestrüpp, aus dem sie oft die Longhorns
heraustreiben mussten, geschützt zu sein. Diese
Chaps waren aus Leder und reichten bis über die
Stiefel.
Der zweite Trupp war aus anderem Holz geschnitzt.
Im Gegensatz zu den Cowboys trugen sie die Colts
tief an der Hüfte, einer hatte sogar zwei
umgeschnallt. Larry vermutete, dass es dieser
Gray war, von dem Jules ihm erzählt hatte. Er
nahm es aber nicht als Indiz für die besondere
Gefährlichkeit des Revolvermannes, denn heute
trug fast niemand mehr zwei Waffen. Üblich war
dies nur gewesen, als die Colts noch mit Pulver,
Verdämmungspfropfen, Kugel und Zündhütchen
geladen werden mussten, und sie häufig
versagten. Die zweite diente als Reserve. Seit es
Patronenrevolver gab, war eine zweite_Waffe_eigentlich_überflüssig._Nach_Grays_Grinsen_zu
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urteilen,
musste dieser Mann leicht verrückt sein.
Begütigend sprach Larry auf den erregten Hengst
ein, der sich sofort beruhigte. Dann wandte er
sich den anderen zu, die drei Pferdelängen vor
ihm ihre Tiere zum Stehen gebracht hatten. Wer
der Leitbulle war, wurde Larry nicht nur durch
dessen knappe Handbewegung klar, auf die hin sich
die anderen zwei von den Pferden schwangen; der
die Befehle gab, war eine imposante Erscheinung
und wäre auch in einer großen Menschenmenge als
ein ganz besonderer Mann aufgefallen. Er schob
sich den Stetson, der sicherlich das
Jahreseinkommen eines Cowboys gekostet hatte, in
den roten Nacken zurück. Er wirkte entspannt wie
ein Jaguar, der eine erfolgreiche Jagd hinter
sich hatte, und genauso gefährlich, jederzeit
bereit, die Beute zu verteidigen. Er hatte
kupferrotes Haar und ein von der Sonne stark
gerötetes Gesicht, das nicht braun werden
wollte, sondern sich immer wieder neu schälte.
Weiße, große Zähne blitzten auf, als er Larry
kühn anlächelte. Er war etwa fünfunddreißig
Jahre alt, ein Hüne von Gestalt und bestimmt
zwei Zentner schwer. Larry hätte gewettet, nicht
ein Gramm überflüssiges Fett war dabei. Groß,
stark und unerschütterlich wirkte er, und er
schien unter Dampf zu stehen, so, als könne er
den nächsten Ausbruch von überschüssiger
Energie kaum kontrollieren. Ein unberechenbarer,
gefährlicher Mann. Als er vom Pferd stieg, tat
er das mit einer geschmeidig fließenden
Bewegung, die katzenartig gewandt und zugleich
schnörkellos war, als sei ihm jede Verschwendung
verhasst. Er bewegte sich _mit_einer _Sicherheit, _die_nur_der_hat, _der _niemanden
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fürchten
muss.
Noch nicht einmal achtzehnjährig war Slaughter
in dieses Land gekommen, hatte den Indianern
seinen Besitz abgetrotzt, sich unter Gesetzlosen
behaupten müssen und sich ein riesiges
Rinderreich erkämpft. Das Startkapital hatte er
sich verschafft, indem er halbwilden Longhorns
sein Brandzeichen, einen zustoßenden Adler,
aufgedrückt und als erster Rancher dieses
großen Gebietes eine Viehherde durch
Indianerland zu den Verladebahnhöfen im Norden
getrieben hatte. Seitdem war sein Aufstieg
unaufhaltsam gewesen. Es war sein Land, er war
der absolute Herrscher, und seine Macht gründete
sich auf seine Stärke.
Larry begann sich unter dem abschätzenden Blick
unwohl zu fühlen. Er ahnte, was kommen musste,
und sein Magen zog sich krampfartig zusammen. In
seiner momentanen körperlichen Verfassung war er
Slaughter selbst in einer fairen
Auseinandersetzung mit den Fäusten, Mann gegen
Mann, nicht gewachsen. Angst überkam ihn, immer
neue Wellen, vom Epizentrum Magen ausgehend,
ließen ihn erzittern. Er spürte den kalten
Schweiß auf seiner Stirn. Unauffällig
betrachtete er seine Hand, die eine Zigarette
hielt, während er sie zum Mund führte, aber da
war kein Zittern, kein noch so unmerkliches Beben
wahrzunehmen. Seine äußerliche Ruhe gab ihm die
innere Sicherheit zurück. Er atmete den Rauch
tief ein, ließ die Zigarette dann fallen und
trat sie aus. All dies tat er langsam,
bedächtig, als wäre die profane Handlung
würdig, so feierlich begangen zu werden._Dann, als er
sich entschieden hatte, kam
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eine
tiefe Ruhe über ihn, eine gläserne Glocke hielt
die Außenwelt fern von ihm. Er war bereit, alle
Schmerzen auszuhalten und sich, so gut es ging,
seiner Haut zu wehren. Ohne Blessuren würde es
auch für den Großrancher nicht ausgehen. Sein
Blick nahm alles auf einmal wahr. Hoch stand die
Sonne, das Blau war ungeheuer, die himmelwärts
vermutete Ewigkeit nur schwer zu ertragen. Aber
ich kann das Unendliche unendlich nennen, und ein
Glücksgefühl durchströmte ihn, und eine wilde
Sehnsucht nach dem Leben, die frei war von
Todesfurcht, packte ihn.
Gelassen begegnete er dem Blick Slaughers, dessen
unbeugsamer Wille fast körperlich war. Einen
kurzen Moment war Slaughter verunsichert, und er
hob überrascht die Augenbrauen, sollte er sich
verschätzt haben? Aber was er sah, beeindruckte
ihn nicht besonders; ein hochgewachsener Mann,
fast genauso groß wie er selber, gleichaltrig
ungefähr, mit schmalen Lippen und rauchgrauen,
weit auseinanderstehenden Augen in einem von
Sonne und Wind gegerbten Gesicht. Der breite Mund
wirkte trotz der Schmallippigkeit sensibel, das
Kinn war in der Mitte geteilt und die Stirn hoch
und klar. Er machte den Eindruck eines mageren,
zähen Wolfes, der, wenn es sein musste, kämpfen
konnte und ein gefährlicher Gegner war. Die
harten Linien in seinem Gesicht sprachen von
einem kompromisslosen Leben, das immer den selbst
aufgestellten Regeln gefolgt war. Aber solche
Männer waren Slaughter schon oft begegnet, es
fehlten ihnen immer ein paar Zoll zur wirklichen
Größe.
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Zur
Zeit verfügte Larry nicht über die Kraft und
die daraus resultierende Energie, die sich seinen
Gegnern immer unbewusst mitgeteilt und manchen
vorzeitigen Rückzug veranlasst hatte. Dabei war
nicht die physische Kraft ausschlaggebend,
sondern die Botschaft, die von Larry ausging. Ich
werde kämpfen, und ich werde nicht aufgeben;
wenn du gewinnen willst, musst du mich töten.
Jetzt wirkten Larrys Bewegungen ungelenk, eckig;
Slaughter kam zu der beruhigenden Erkenntnis,
hier keinen gleichwertigen Gegner vor sich zu
haben. Was kann ein einsamer Wolf gegen eine
große Raubkatze ausrichten, fragte er sich und
blickte Larry wieder mit seinen unheimlich blauen
Augen intensiv an. Er kann sich als Leitwolf ein
Rudel zusammensuchen, gab er sich zur Antwort,
und dann ist er gefährlich.
Bisher war noch kein Wort gesprochen worden.
Gray, der mit seinen zwei Colts selbstvergessen
herumspielte, brach das Schweigen.
"Soll ich dem verlausten Affen ein paar
nette Verzierungen beibringen?" fragte er zu
Slaughter gewandt und zielte mit beiden Colts auf
Larry. Slaughter schüttelte leicht den Kopf, und
enttäuscht versenkte Gray mit artistischer
Leichtigkeit seine Colts in die Holster.
"Soviel Aufwand für einen unbewaffneten
Mann, Gentlemen?" fragte Larry spöttisch.
Slaughter überging den Spott und sagte ernst:
"Ich habe nichts gegen Sie, gegen Sie
persönlich, meine ich. Sie haben mich in
Zugzwang gebracht." _Fast bedauernd sagte
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er
dies und fügte hinzu: "Spielen Sie
Schach?" und als Larry nickte, "Dann
wissen Sie, was ich meine. Sie befinden sich in
einer äußerst bedenklichen Position und haben
dennoch die Frechheit, mir zu drohen, mir Schach
zu bieten. Nun bin ich am Zug. Sie wollen ihren
Bruder rächen und für die kleinen Farmer, die
in den Hügeln dahinvegetieren, den starken Mann
spielen, der mich aus dem Sattel hebt."
Larry war versucht, die Sachlage richtig zu
stellen, dass dies nur ein von einem kleinen
Jungen provoziertes Missverständnis sei, der
seine Wünsche für die Wirklichkeit gehalten
habe.
Aber die Frist war abgelaufen, denn kaum hatte
Slaughter geendet, der während seiner Rede den
Gurt abgeschnallt und den Riemen um seinen
Schenkel gelöst hatte, als er den schweren,
munitionsbestückten Gürtel mit einer
blitzartigen Bewegung aus dem Handgelenk heraus,
ansatzlos, von sich schleuderte. Der Patronengurt
mit dem Revolver klatschte in Larrys
ungeschütztes Gesicht, und die Wucht des
Aufpralls ließ die Haut über dem Wangenknochen
zerplatzen wie überreifes Obst, das zu Boden
fällt. Blut tropfte von seinem Kinn, und Larry
taumelte drei Schritte rückwärts. Slaughter
setzte sofort nach, um seinen Vorteil auszunutzen
und hieb seine Fäuste in Larrys ungeschützte
Weichteile, links, rechts, Doubletten, die Larry
von einer Seite auf die andere trieben, hielten
ihn, der sonst längst zu Boden gegangen wäre,
aufrecht. Erbarmungslos schlug Slaughter immer wieder zu.
Seiner Sache nun sicher, überließ er Larry
seinem Taumel und zog, seine Hände zu schützen, Handschuhe_an._Eigentlich war der Kampf
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bereits zu Ende, die Exekution sollte beginnen.
Larry versuchte, die Benommenheit abzuschütteln.
Unsicher stand er auf den Beinen, bemüht um
Orientierung. Mit wiegendem Schritt kam Slaughter
auf ihn zu, in der Absicht, den angeschlagenen
Gegner systematisch zu zertrümmern, ihn zu
zerbrechen, und ihn für immer zu einem
furchtsamen, ängstlichen Menschen zu machen, der
vor jeder körperlichen Gewaltandrohung zitternd
kuschen würde. Wankend erwartete Larry den
nächsten Schlag. Der weit ausgeholte Schwinger
kam mit großer Geschwindigkeit auf Larrys Kopf
zu - instinktiv duckte Larry den Schlag aus und
stieß Slaughter den Kopf in den Magen. Der
sackte zusammen, und in der Fallbewegung bekam er
Larrys Knie unter die Nase gerammt. Das
knirschende Geräusch von zermalmtem Knorpel
schien über Gebühr laut. Blut schoss aus der
Nase, und Slaughter stöhnte auf, ging zu Boden
und wälzte sich aus der Gefahrenzone. Aber Larry
war ihm nicht gefolgt, sondern stand mit
hängenden Fäusten und wartete. Blutüberströmt
erhob sich Slaughter. Schwer durch den Mund
atmend ging er auf Larry zu, gewarnt jetzt und
vorsichtig. Einen weiteren Volltreffer würde
Larry nicht verkraften, und tänzelnd versuchte
er seine Glieder zu lockern und die Beweglichkeit
wiederzuerlangen. Aber auch er hatte Slaughter
empfindlich treffen können und dadurch etwas
Zeit gewonnen. Mit der Linken täuschte Slaughter
eine Gerade an, die auf Larrys Kopf zielte, und
die pendelnde Oberkörperbewegung, mit der Larry
sich aus der Gefahrenzone zu bringen suchte, kam
dem rechten
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Haken
noch entgegen, der ihn schwer seitlich am Hals
traf. Er wankte und versuchte, das Gleichgewicht
nicht zu verlieren, riss die Augen weit auf, vor
denen bereits alles verschwamm, und genau in
diesem Augenblick warf Slaughter den mit der
linken Hand vom Boden geklaubten Sand in Larrys
Gesicht. Unbarmherzig trieb er den Blinden mit
wüsten Schwingern nun vor sich her. Halb
bewusstlos schon war er nur noch vom Willen nicht
umzufallen beseelt. Sein ganzer Schädel war eine
blutige Masse, in der die Gesichtszüge nicht
mehr zu erkennen waren.
Als Larry wie vom Blitz getroffen in sich
zusammenfiel, trat Slaughter noch weiter auf ihn
ein, bis ein Murren seiner zwei Cowboys ihn zur
Raison brachte. Kalter Hass erfüllte ihn noch,
als Larry halbtot und wehrlos vor ihm lag. Dies
genügte ihm nicht, er wollte ihm weiterhin
Schmerzen zufügen. Wortlos wandte er sich von
Larry ab, ging zu seinem Falben, nahm das Gewehr
aus dem Scabbard - er repetierte, zielte auf Sad
ed Faûl und erschoss das Tier.
Ein wilder Blick traf die Cowboys. Sie schwiegen.
Es
war Nacht, als Larry erwachte. Die Sterne am
klaren Himmel schienen hell. Er lag gekrümmt auf
der Seite, und eine kleine Bewegung löste einen
Schmerz aus, der ihm die Besinnung erneut nahm.
Beim zweiten Erwachen durchdrang Morgenkühle seine Glieder. Regungslos blieb er liegen, um sich gegen
die zu erwartende Tortur zu wappnen. Er bestand
nur noch_aus
Nerven,_die
dem Gehirn_Schmerzen
meldeten._Das
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Gefühl
einer großen Klarheit,_das ihn überkam_und das_er mit aller
Kraft festzuhalten versuchte, führte ihn weg von
der Gegenwart in seine Vergangenheit.
... riesige Kakteen, vierzehn, fünfzehn Meter
hoch und über hundertfünfzig Jahre alt,
winkelten ihre Arme. Die jugendlicheren waren
noch ganz Phallus. Groß zwar und stachelig, aber
ohne Ablenkung nach rechts oder links. Die weit
verzweigten, alles irgend Feuchte aufsaugenden
Wurzelwerke hielten die Kakteen auf Distanz
zueinander. Durch die Zwischenräume lenkte Larry
sein Pony talwärts nach Norden, wo die weite
Ebene von Rinderherden äsend durchschritten
wurde. Der vierzehnjährige Junge verharrte am
Rande des Kakteenfeldes und beobachtete eine
Zeitlang das grasende Vieh. Menschen waren nicht
zu sehen, und so wagte er, die Deckung zu
verlassen. Er musste vorsichtig sein, sicher
würde man ihn verfolgen. Der Mann, den er
erschlagen hatte, galt als untadeliger Bürger
seiner Gemeinde. Larry wusste es besser. Aber ihm
würde niemand glauben, nur der Witwe, die das
Ansehen ihres Mannes würde retten wollen. Mister
Andrew war ein Sadist gewesen, ein frömmelnder
Mensch, der keinen Gottesdienst, aber auch keine
Möglichkeit zur Quälerei versäumt hatte. Über
ein Jahr war Larry bei ihm gewesen, seit sein
Vater erschossen worden war und Andrew sich
seiner angenommen hatte. Die Mitglieder der
kleinen Gemeinde irgendwo in Missouri waren froh,
dass nicht sie für Larrys Unterhalt aufkommen
mussten, und sahen geflissentlich über den _geschundenen _Körper,_den_sie _täglich_vor Augen
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hatten, hinweg. Jeder wusste von der Qual, die der Junge
auszustehen hatte, aber niemand wollte es
wirklich wissen. So galt Larry als störrisches,
undankbares Kind, das ein paar Klapse sehr wohl
vertragen konnte. Die Schmerzen waren überall.
Er hätte mich bestimmt umgebracht, diesmal, ich
musste ihn erschlagen, sonst hätte er mich
getötet, versuchte der Junge, sein Gewissen zu
entlasten. Gestern war Andrew schon zur
Mittagszeit betrunken gewesen, als er in die
Schmiede kam, um Larrys Arbeit zu überwachen.
Abwartend stand er da und trommelte mit seinen
Fingern, ungeduldig auf einen Vorwand wartend, um
Larry guten Gewissens prügeln zu können. Die
Wartezeit verbrachte er mit lautem Fluchen.
Plötzlich warf er einen Holzscheit nach Larry,
der gerade noch ausweichen konnte. Dann nannte er
ihn einen ungehorsamen, aufsässigen Bastard, dem
einmal die heilige Gottesfurcht eingebläut
werden müsse, denn sonst werde seine Seele in
der ewigen Verdammnis und Finsternis auf immer
umherirren. Und er stand auf, sein
Züchtigungsinstrument, eine Bullenpeitsche, vom
Haken zu nehmen. Bleich und stumm wartete Larry,
gewillt, keinen Laut von sich zu geben. Mit einem
"Knie nieder, du Hund" eröffnete
Andrew das Ritual. Beim ersten Mal war Larry
erschreckt auf die Knie gefallen und hatte damit
den scheinheiligen Vorwand geliefert. "Oh,
du nichtsnutziger Teufel, nur vor Gott wird
gekniet, lass dich nicht in Versuchung führen
und nimm dies zur
Lehre", hatte
er salbungsvoll, halb im Singsang
gesprochen und dabei wild auf Larry
eingeschlagen, als_gelte_es,_ den_Teufel _auszutreiben._Seitdem _hatte_Larry
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niemals
wieder vor diesem Mann gekniet. Jetzt hieb
dieser mit der Peitsche immer wieder zu, nur
leises Stöhnen kam über Larrys Lippen, der mit
den Armen sein Gesicht schützte. Diesmal wollte
Andrew mehr, und wie von Sinnen,
Speichelbläschen in den Mundwinkeln, schlug und
schlug er. Das erwartete Flehen und Weinen blieb
aus, und das brachte Andrew in immer größeren
Zorn und heftigere Erregung. Den ersehnten Effekt
zu erreichen, griff Andrew nun zu einem schweren
Knüppel. Der erste Schlag traf Larrys
Oberschenkel, und sein Bein knickte weg, und er
stürzte lang hin. Dabei entfuhr ihm ein wilder
Schrei. Mit gespreizten Beinen stand Andrew über
ihm, das Gesicht verzerrt, und seine Hose beulte
sich aus. Mehr stöhnend als fluchend wollte er
erneut zuschlagen, und voller Panik sprang Larry
auf und vorerst außer Reichweite. Aber hinaus
kam er nicht; Andrew hatte die Tür verschlossen.
Den Schlüssel steckte er in seine Hosentasche.
"Jetzt mach ich dich fertig, du kleines
Schwein", flüsternd, drängte er Larry in
die Ecke, aus der es kein Entkommen gab.
"Bete, bete: Vater, unser, bete!"
schrie er, und hochrot im Gesicht näherte er
sich Larry, packte ihn bei der Kehle, mit einer
Hand, und wieder schrie er: "Du sollst
beten, bete!"
Voller Entsetzen starrte Larry diesen Mann an, er
war gelähmt und brachte keinen Ton heraus. Die
Luft wurde ihm knapp, so fest drückte Andrew zu, drängte ihn mit
seinem Körper gegen die Wand. Larry wollte
schreien, um Hilfe rufen, es gelang nicht. _Von _allen _Hemmungen _befreit _ hatte _Andrew _den
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Knüppel fallen lassen und nun beide Hände um Larrys Hals gelegt.
Keuchend verstärkte er den Druck, und Larry
versank in rotem Nebel; fast bewusstlos erwachte
mit eruptiver Gewalt die von der Todesfurcht
ausgelöste Gegenwehr, sein hartes, spitzes Knie
versenkte er mit aller Kraft in den Unterleib des
breitbeinig vor ihm stehenden Ziehvaters, dessen
Hände sofort losließen und niederfuhren. Larry
hatte sich in die andere Ecke geflüchtet, und
seine Hand ergriff den auf der Esse liegenden
Fäustling, schwang ihn hoch und warf ihn mit
voller Wucht dem auf ihn zustürzenden Andrew
entgegen. Abrupt wurde dessen Lauf gestoppt. Er
griff sich an die Brust, mit einem Seufzer fiel
er hin und prallte mit dem Schädel auf den
doppelt gehärteten Amboss - er war sofort tot.
So war es gewesen, und der Junge schniefte,
kämpfte mit den Tränen. Nicht dass es ihm um
Mr. Andrew leid getan oder ihn Reue überkommen
hätte; es war gewissermaßen das Ungeheuerliche
seiner Tat, das ihn zum Weinen brachte. Es waren
auch Tränen der Erleichterung, die ihm übers
Gesicht rannen...
Im Fieber phantasierend brachte Larry die Zeiten
durcheinander. Beruhigend sprach er auf den
Jungen, auf sich selbst, ein. Redete von Notwehr,
und dass den Jungen keine Schuld träfe.
Beschützend wollte er ihn an die Hand nehmen,
ihm versprechen, niemals werde ihm solches noch
einmal angetan werden._ Seine Hand durchfuhr den
angeschwemmten Sand im Flussbett, drückte einen
abgerissenen Ast, und wild schrie_er, diesem_Andrew_sei_recht_geschehen._Sein_eigener
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Schrei
brachte ihn in die Gegenwart zurück.
Es ging ihm miserabel. Durst plagte ihn, der seit
vierundzwanzig Stunden hier lag. Überall
Brennen, Stechen, Klopfen, Zentren von Schmerzen.
Allein hatte er keine Chance. Vielleicht wenn er
Sad ed Faûl dazu bewegen konnte sich hinzulegen,
dann musste es ihm möglich sein, in den Sattel
zu kommen. Nur ein krächzendes Geräusch, über
das er selbst erschrak, kam aus seiner Kehle, als
er den Namen des Pferdes rief. Larry versuchte,
seinen Oberkörper aufzustemmen und an den
Steilhang zu lehnen. Irgend jemand Unsichtbares
drehte ein gezacktes Messer in seinem Bein, als
er sich kriechend fortzubewegen suchte. Seltsam
unnatürlich verdreht folgte das linke Bein dem
Zug der Arme. Gebrochen, konstatierte Larry kalt.
Bestimmt auch ein paar Rippen. Er hoffte, keine
schwerwiegenden inneren Verletzungen
davongetragen zu haben. Endlich hatte er es
geschafft, sich in den Schatten des
überhängenden, ausgespülten Felsens zu
bugsieren und eine sitzende Haltung einzunehmen,
als er einige Meter links von sich Sad ed Faûl
sah, auf der Seite liegend, das Auge gebrochen,
die Nüstern zurückgezogen und die großen
gelben Zähne bleckend, als sei der Tod nur ein
Spaß.
Es war lange her, seit Larry das letzte Mal
geweint hatte. Er schämte sich der Tränen
nicht, die vom Kinn herab auf die Brust tropften. Sie waren
richtige Freunde gewesen, vieles hatten
sie zusammen erlebt und durchgestanden. Sie waren
Gefährten_gewesen_und_hatten_einander
vertraut._Die_Trauer
|
um
seinen Freund und der Zorn auf die, die ihn getötet
hatten, zentrierten seinen Willen um ein Ziel.
Fast hatte er sich schon aufgegeben, und nun gab
sein Hass ihm neue Kräfte. Irgendwie schaffte er
es, zu seinem Pferd zu kommen, und er war
dankbar, den Wassersack und den Proviant nicht
unter dem toten Körper begraben zu finden. Wie
zum Abschied tätschelte er Sad ed Faûl zum
letzten Mal.
Das Wasserbehältnis war noch zu zwei Dritteln
voll, und als er seinen Durst gestillt hatte,
zwang er sich, das trockene, harte Brot zu essen.
Er musste jedes abgebrochene Stück Brot im Mund
mit Speichel zersetzen, denn Beißen war
unmöglich. Der Kiefer schien angebrochen, und
die meisten Zähne waren nicht mehr fest. Zwei
waren überhaupt nicht mehr verankert, und Larry
löste sie durch eine kleine Drehung von den
Fleischfetzen, an denen sie hingen. Erschöpft
von den Anstrengungen legte er sich hin, so gut
es ging, wobei die Deckenrolle als Kissen diente.
Sofort fiel er in tiefen Schlaf und erwachte nach
sechs Stunden frischer, als er vorher gewesen
war. Die Sonne stand als glühender Ball am
Horizont und verschickte ihre letzten Strahlen,
in deren Licht nackthalsige große Aasfresser auf
dem Kadaver hüpften, die problemlos
zugänglichen Stellen suchend. Einer zog blutiges
Hirn aus der tödlichen Schädelwunde und reckte
den Kopf in die Höhe, um die Beute im Schlund
verschwinden zu lassen. Angeekelt und
unbeherrscht griff Larry nach einem Stein und
traf den stinkenden Vogel, der gemächlichen
Schrittes sich entfernte, denn es
lag keine Kraft hinter dem Wurf. Larry spürte
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die Bewegung_bis in die
Fußspitzen und unterdrückte
einen Aufschrei. Ihm wurde bewusst, dass er
vorerst nicht in der Lage sein würde hier
wegzukommen und dass er um zu Kräften zu kommen
den Geiern ein Konkurrent sein müsste. Denn
Proviant war nicht mehr da. Der Gedanke an das,
was er würde tun müssen, verursachte ihm
Übelkeit. Aber wenn er überleben wollte, hatte
er keine Wahl.
Nun, da er sich bewegte, waren die Geier auf
Abstand gegangen und hatten sich in einiger
Entfernung versammelt. Dies stimmte ihn
zuversichtlich, er also strömte noch nicht den
Geruch des Todes aus; und solange er noch
einigermaßen bei Kräften war und die Dämmerung
noch genügend Licht hatte, schnitt er große
Fleischstücke aus dem Pferdeleib.
Erst jetzt kümmerte er sich um seine
Verletzungen. An das Verbandszeug kam er nicht
heran. Er zerschnitt das Zaumzeug, und mit den
ledernen Streifen fertigte er eine Schlinge für
seinen Arm. Mit vom Hochwasser angeschwemmten
Ästen schiente er das Bein. Bis in die Nacht
hinein war er damit beschäftigt. Jede
Verrichtung war von Schmerzen begleitet und
kostete viel Zeit. Die Anstrengungen verbrauchten
alle seine Energien, und sein Schlaf glich der
Bewusstlosigkeit.
Zerschlagen und zerschunden machte er sich nach
dem Aufwachen auf den Weg zur Stadt, wo er hoffen
konnte, Hilfe zu finden. Er verbannte jeden
Gedanken, und langsam, kriechend, bewegte er sich
fort. Ein langer Alptraum begann.
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